20.11.2025
Regenwasser nutzen statt ableiten – das Konzept der Schwammstadt
Der Begriff Schwammstadt ist aktuell in aller Munde. Regenwasser soll nicht mehr in die Kanalisation abgeleitet werden, sondern dort versickern, wo es vom Himmel fällt. Auch Mieterinnen und Mieter können dazu beitragen, dass unsere Städte und Vororte grüner, kühler und natürlicher werden.
Überarbeitete Version des Artikels «Boden befreien: Weg mit dem Asphalt», erschienen in der «casanostra»-Ausgabe 182, September 2025
Es regnet. Nicht Landregen fällt, sondern ein Starkregen, wie er in der Schweiz häufiger wird. An der Bushaltestelle bildet sich ein Teich, auf der Quartierstrasse rauscht ein meterbreiter Bach abwärts, die Abläufe gurgeln. Das sogenannte Meteorwasser fliesst zu einem grossen Teil rekordschnell und ungenutzt durch die Kanalisation in den lokalen Fluss oder See und ist mitschuldig an Überflutungen und Bodenerosion. So oder ähnlich kennen wir unsere Stadtquartiere, wenn es in Strömen oder ausdauernd regnet. Wir haben uns daran gewöhnt. Schliesslich haben betonierte und asphaltierte Flächen grosse Vorteile: Sie sind belastbar, unterhaltsarm, leicht zu reinigen, vielfältig zu nutzen, die Schuhe bleiben sauber und man kommt auch auf Rollen und Rädern gut voran.
Hitze, Trockenheit und Wassermassen
Neben den Vorteilen haben die sogenannten versiegelten Flächen auch entscheidende Nachteile: Sie sind biologisch gesehen wertlos, mitverantwortlich für urbane Hitzeinseln und können kein Regenwasser aufnehmen. Diese drei Faktoren hängen zusammen: Wo nichts wächst, wird es heisser, wo es zu heiss ist, wächst nichts. Wo Regenwasser nicht versickern kann, haben Pflanzen kein Wasser und entfällt der kühlende Effekt von Pflanzen, Schatten und Verdunstung aus dem Boden – es bleibt heiss. Werden Flächen hingegen durchlässig gestaltet und generell nur dort befestigt, wo es wirklich nötig ist, hat das entscheidende Vorteile: Bäume haben mehr Wasser und mehr Wurzelraum. Der Schatten und das langsam verdunstende Wasser bringen Kühle. Insekten und andere Tiere finden Lebensräume und auch starke Regenfälle versickern, statt Bäche zu bilden und Keller zu fluten.
Presslufthammer gegen Asphaltflächen
Wie können wir Regen dort versickern lassen, wo er fällt? Und wie gehen wir mit versiegelten Flächen im Kontext von heissen Sommern und Trockenheit um? Mit diesen Fragen befassen sich in der Schweiz verschiedene Forschungsteams und Firmen, aber auch Private. Während sich die Motivationen und Herangehensweisen unterscheiden, bleibt die Grundmassnahme letztlich die gleiche: Flächen aufbrechen – entsiegeln, wie es im Fachjargon heisst –, oder gar nicht erst verschliessen. Wo die Asphaltknackerinnen aus Zürich am Werk sind, geht es ans Eingemachte: Mit Presslufthammer, Pickel, Schaufel und Bagger werden Parkplätze vom Asphalt befreit, Vorplätze umgestaltet und Hinterhöfe in Gärten verwandelt. Unterdessen konnten sie Zürich, Winterthur und Luzern als Partnerstädte gewinnen und wurden mehrfach für ihr Engagement ausgezeichnet. Neben dem Vorteil für die Natur und dem Schutz vor Hitze und Überschwemmungen sehen sie noch einen weiteren Gewinn für die Menschen: Eine entsiegelte Fläche, ein naturnah gestalteter Spielplatz oder ein Garten seien auch einfach schöner und hätten als Aufenthaltsort mehr zu bieten als eine Teerfläche mit Bänkli und Schaukel.
Vollendete Tatsachen helfen
«Man muss realistisch sein: Bei grossen Akteuren müssen die Behörden klare Vorgaben machen, sonst haben wir keine Chance», erklärt Silvia Oppliger, Leiterin des Netzwerks Schwammstadt. Die Vision Schwammstadt fordert einen neuen, naturnahen Umgang mit Regenwasser. Der Regen soll dort versickern, wo er fällt, und nicht mehr in der Kanalisation verschwinden. Die Massnahmenpalette ist relativ breit: Rasengittersteine, Kiesflächen, Wiesen, Bäume, Hecken und Büsche stehen genauso zur Wahl wie Fassadenbegrünungen, Dachgärten oder Regenwassersammelbecken. Die Umgebung soll Regenwasser wieder wie ein Schwamm speichern und dieses bei Hitze nach und nach abgeben können. Das schafft Kühlung, entlastet die Kanalisation und verhindert Überschwemmungen. «Unterdessen haben wir Überbauungsvorhaben, bei denen die Behörden vorgeben, dass das Regenwasser vor Ort bewirtschaftet werden muss. Es ist also gar keine Regenwasserkanalisation mehr vorgesehen», erzählt Oppliger. Mancherorts erfolgen die Umsetzungen naturnah und führen zu wertvollen Ökozonen oder lauschigen Ecken, an anderer Stelle sind es technische Lösungen. Oppliger sieht das pragmatisch: «Wir müssen immer schauen, wo wir sind und was an diesem Standort möglich ist.»
Der Beitrag der Mieter*innen
Wer in einer Mietwohnung lebt, kann nicht ohne weiteres mit dem Presslufthammer loslegen und den Parkplatz in einen Garten verwandeln. Dennoch können auch Mieterinnen und Mieter zur Schwammstadt beitragen. Einerseits können sie im Rahmen der bestimmungsgerechten Nutzung selber Hand anlegen. In den meisten Liegenschaften ist es erlaubt, Balkone und Terrassen zu begrünen. Mit Töpfen, Kisten, Trögen und einer guten Auswahl an Pflanzen entsteht auf kleinstem Raum ein ökologisches Kleinod, das zur Kühlung und zur Biodiversität beiträgt. Stehen die Töpfe im Regen oder werden sie mit Regenwasser gegossen, leisten sie einen Beitrag an die Schwammstadt. Dasselbe gilt auch für Gartenbeete und persönliche Rabatten. Nicht zu unterschätzen ist auch das Potenzial der Hausumgebung. Hier führt der Weg über die Verwaltungen und Hausbesitzenden. Mieter*innen können Überzeugungsarbeit leisten, aktiv auf die Verantwortlichen zugehen und Vorschläge machen. «Die Initiative von Mieterinnen und Mietern können durchaus auf offene Ohren stossen,» sagt Franziska Dominguez vom Grünen Bündnis Bern, die das Thema auf politischer Ebene vorantreiben will. Die Ideen, mit denen die Mieterschaft an die Verwaltung gelangen könnte, können von Baumpflanzungen über das Anlegen eines Gemeinschaftsgartens bis zur Entsiegelung des Spielplatzes gehen. Fassadenbegrünungen und Dachgärten müssen gut geplant werden, damit auch langfristig keine Schäden an der Bausubstanz entstehen. Auch trendige Urban-Gardening-Projekte leisten einen Beitrag, und Velos können beispielsweise gut auf Kies stehen statt auf Asphalt, während sich bei Parkplätzen Rasengittersteine anbieten. Ob die Ideen auf Anklang stossen, ist nicht immer vorhersehbar, aber es gilt das Sprichwort: «Wer nicht wagt, der nicht begrünt».
Tigermücken? Kein Problem
Jede gute Idee muss Kritik aushalten, das ist bei der Entsiegelung nicht anders. Zwei Themen kommen aus der Biologie: Verschlimmern Tümpel und Teiche die Tiger mückenplage? Und: Sind offene Flächen nicht einfach ein neuer Standort für invasive Neophyten? Silvia Oppliger relativiert: «Tigermücken mögen keine naturnahen Flächen. Da sind die volle Giesskanne oder der Blumenuntertopf im Garten das grössere Problem.» Etwas anders sieht es bei den invasiven Neophyten wie dem Berufkraut oder der Goldrute aus. Diese sind tatsächlich schnell zur Stelle, wenn eine neue Brache entsteht. «Man muss vor allem am Anfang aufmerksam sein. Sobald sich andere Pflanzen etabliert haben, wird es einfacher», erklärt Oppliger. Wenn es um sickerfähig oder naturnah gestaltete Wege und Plätze geht, kommen weitere kritische Punkte ins Spiel. Für Menschen, die auf einen Rollator oder einen Rollstuhl angewiesen sind, können Kieswege oder Mergelbeläge Nachteile bringen. Und Laub und Erde bringen möglicherweise etwas mehr Dreck in den Hauseingang.
Finanzielle Hürden
Ein dauernder Spielverderber ist der Faktor Geld: Projekte dieser Art verteuerten und verkomplizierten Bauvorhaben, der Unterhalt der Liegenschaften sei aufwändiger, tönt es aus gewissen Kreisen. Doch so klar ist das nicht, die Datengrundlage ist mager. Das liegt daran, dass es kaum möglich ist, ein Projekt mit beiden Varianten komplett zu planen und die Kosten zu vergleichen. Im Unterhalt dürften die Unterschiede klein sein. Eine Wiese muss man vielleicht mähen, eine Asphaltfläche aber reinigen. Bei einem geteerten Parkplatz führen Frostrisse oder Pfützenbildung zu Kosten, bei Rasengittersteinen müssen die Neophyten in Schach gehalten werden. Silvia Oppliger resümiert: «Es ist vor allem Überzeugungsarbeit. Man muss die richtigen Argumente für die richtigen Leute finden.» Das gilt auch für Mieterinnen und Mieter: Wer gute Argumente hat, findet eher Gehör. Die richtigen Hinweise auf geeignete Förderprogramme und finanzielle Anreize können für die Verantwortlichen ausschlaggebend sein.